Freitagskonzert № 4 am 14.02.2025
Bravos und langer enthusiastischer Beifall für Teil IX des Mahler-Scartazzini-Zyklus
Wiederbegegnung mit »Anima« und gelungene Uraufführung von »Enigma«
Zu Beginn des Konzerts sang Evelyn Krahe mit ihrer dunkel timbrierten Altstimme Andrea Lorenzo Scartazzins „Anima“ klangschön und ausdrucksstark. „Anima“ wurde im vergangenen Jahr uraufgeführt und bildete den Prolog zu Gustav Mahlers groß angelegter „Sinfonie der Tausend“. Die Komposition ist eine Vertonung von Goethes „Gesang der Geister über den Wassern“. Der Kreislauf des Wassers wird mit der menschlichen Seele verglichen und intendiert eine Nähe zur Läuterung von Fausts Seele, wie sie in Goethes Schlussszene von „Faust II“ literarisch und im zweiten Teil von Gustav Mahlers 8. Sinfonie musikalisch gestaltet ist.
Auf „Anima“ folgte „Enigma.“ In Scartazzinis neuester Komposition dominierten verhaltene Streicherklänge. Sie stiegen höher und höher und entschwanden in unbekannte Fernen. Die Blechbläser intonierten ein melodisches Rauschen, aus dem alle Klangfarben entwichen waren. Nach einem Moment der Stille erklang eine dreiteilige, von Vibraphon und Glockenspiel vorgetragene Tonfolge. Es war dieselbe Melodie, die der Chor im zweiten Stück des Zyklus, „Epitaph“, auf Rilkes Verse anstimmt:
„Denn wir sind nur die Schale und das Blatt.
Der große Tod, den jeder in sich hat,
das ist die Frucht, um die sich alles dreht.“
Andrea Scartazzini spannt so den Bogen zu den letzten, ersterbenden Tönen des „Adagios“ aus Mahlers 9. Sinfonie. Doch zugleich stellt er den Bezug zu „Epitaph“ und Mahlers früherer Beschäftigung mit Tod und Auferstehung her. Interessant war es auch zu hören, wie „Enigma“ leise und verhalten an das vorhergehende Stück des Zyklus „Anima“ anknüpft. Wie Scartazzinis bisherige Kompositionen genau miteinander in Verbindung stehen, das wird man erst nach der Aufführung des gesamten Zyklus in Verbindung mit dem Kopfsatz zu Gustav Mahlers unvollendet hinterlassener 10. Sinfonie sagen können, aber dass sie untereinander korrespondieren, wie es auch bei den Sinfonien Gustav Mahlers der Fall ist, das lässt sich schon jetzt sagen.
Unter der präzisen Stabführung von Simon Gaudenz gelang der Jenaer Philharmonie eine großartige Uraufführung von „Enigma“, der bisher leisesten Komposition Scartazzinis. Die Musikerinnen und Musiker an den Violinen, Bratschen und Celli leisteten ebenso Vorzügliches wie die Bläser und Schlagwerker.
Die Jenaer Philharmonie fand unter der Stabführung von Simon Gaudenz eine unverwechselbare, sehr berührende Klangsprache für Mahlers »Neunte«
Für Gustav Mahlers letzte vollendete Sinfonie fanden die Jenaer Philharmonie und ihr Chefdirigent eine eigene, unverwechselbare und sehr berührende Klangsprache. Bereits im Kopfsatz „Andante comodo“ mit seinem tastenden Beginn, seinem berühmten Seufzer-Motiv, seinen langen Melodien, dramatischen Aufbrüchen und wehmütigen, von Abschiedsschmerz durchzogenen dunklen Klängen, zeigte sich die Jenaer Philharmonie in allen Orchestergruppen bestens disponiert, und Simon Gaudenz sorgte für einen prachtvollen Mahler-Klang, in dem alles Gegensätzliche, Auseinanderstrebende, vom Einsturz Bedrohte fragil vereint war. Besonders im ersten Satz, der zum Schwierigsten, Rätselhaftesten und Besten gehört, was Gustav Mahler je komponiert hat, zeigte sich, wie sehr die jahrelange Beschäftigung mit den Werken Gustav Mahlers die Klangsprache der Jenaer Philharmonie verändert hat, wie sich der warme, differenzierte Klang der Streicher mit einer Fülle subtiler Holzbläser-Soli, dem herben Glanz der Blechbläser und den Soli der Schlagwerker zu einem musikalischen Kosmos verbanden, der Mahlers Partitur auf außergewöhnliche Weise gerecht wurde.
Derb und drastisch erklang der zweite Satz mit seinen Ländlern und Dorftänzen, die sich in rascher Folge abwechselten und wie ein musikalisches Kaleidoskop wirkten. Zunächst wähnte man sich in die musikantische Atmosphäre eines Dorftanzplatzes versetzt, aber die Tänze folgten immer dichter und schneller aufeinander. Die Musik wirkte, als ob sich die Tänze in einem Strudel miteinander verquirlten, ehe der zweite Satz in einem musikalischen Staunen langsam verklang.
Großartig meisterte die Jenaer Philharmonie unter Simon Gaudenz die „Rondo-Burleske“. Sie ist eine Art Geschwindmarsch und wirkte wie ein manisches Perpetuum mobile mit rabenschwarzem Humor, das immer schneller werdend, plötzlich abrupt endete. Als Hörer fühlte man sich wie in einem Kettenkarussell, das sich schneller und schneller dreht, einen nach außen drückt und das urplötzlich zum Stillstand kommt.
Wie die Jenaer Philharmonie unter ihrem Chefdirigenten das Adagio mit seiner Abschiedsstimmung spielte, wie man bisweilen glaubte, die Musik schaue ins Jenseits oder Jenseitiges sei in Musik gebannt (Schönberg), wie der letzte Satz in den Geigen, Bratschen und Celli im dreifachen Pianissimo wie von selbst verklang, das war zutiefst ergreifend und gehört zum Besten, was die Jenaer Philharmonie innerhalb des Mahler-Scartazzini-Zyklus geleistet hat. Das Publikum dankte Andrea Scartazzini, Simon Gaudenz, Evelyn Krahe und der Jenaer Philharmonie mit Bravo-Rufen und langem, enthusiastischem Beifall.
Im Juni wird mit Teil X der Mahler-Scartazzini-Zyklus vollendet sein, doch bereits jetzt gilt er im deutschsprachigen Musikraum als singuläres musikalisches Ereignis und genießt live und auf CD immer mehr Aufmerksamkeit.
Dr. Dietmar Ebert
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Fotos: JenaKultur, Christoph Worsch