Mahler-Scartazzini-Zyklus I am 17./18.04.2024 in Basel
Die Jenaer Philharmonie auf Gastspielreise
Generalmusikdirektor Simon Gaudenz, Composer in Residence Andrea Lorenzo Scartazzini und die Jenaer Philharmonie begeisterten das Publikum im Stadtcasino Basel
Die Jenaer Philharmonie gastierte vom 15. bis 19. April 2024 in Ansbach, Göppingen, Basel und Visp. Simon Gaudenz hat in Basel studiert, und Basel ist auch der Lebensmittelpunkt von Andrea Lorenzo Scartazzini, des Composers in Residence unseres Orchesters. Auf dem Programm im Stadtcasino standen am 17. und 18. April seine Komposition „Torso“ und Gustav Mahlers Sinfonie Nr. 1 in D-Dur. Beide hat die Jenaer Philharmonie kürzlich unter Simon Gaudenz auf CD eingespielt.
Basel mit seiner Nähe zu Frankreich und Deutschland strahlt Offenheit und Freundlichkeit aus. Leicht ist der Weg zum Barfüsserplatz zu finden, vorbei an der Elisabethenkirche, dem neuen Theater und dem von Jean Tinguely 1977 geschaffenen Brunnen. Dort, wo früher die Bühne des einstigen Stadttheaters stand, hat er Maschinenskulpturen in einem Wasserbecken platziert. Sie werden mit Schwachstrom angetrieben und befinden sich in ständiger Bewegung. Schon ist man am Stadtcasino, das 2020 von dem Basler Architektenduo Herzog & de Meuron behutsam rekonstruiert und neugestaltet wurde. Das zweistöckige Foyer ist elegant geschwungen, mutet historisch und zugleich modern an. Die mit rotem, in Lyon gewebtem Brokat verkleideten Wände erinnern an historische Theaterbauten und verströmen französischen Charme. Der im neobarocken Stil 1876 erbaute Saal verfügt über eine phänomenale Akustik. Es war eine große Freude, die Jenaer Philharmonie auf dieser traditionsreichen Bühne zu sehen. Ein interessiertes Publikum, viele Abonnentinnen und Abonnenten waren gekommen, um das Konzert der Jenaer Philharmonie zu hören.
Gleich zu Beginn begrüßte Simon Gaudenz das Publikum. Gemeinsam mit Andrea Scartazzini sprachen sie über den gesamten Mahler-Scartazzini-Zyklus und führten in das Eröffnungswerk „Torso“ ein, zu dem der Komponist von Rilkes Gedicht „Archaischer Torso Apollos“ inspiriert wurde. Wunderbar wurde „Torso“ durch die beiden Ferntrompeten eröffnet. Sie klangen wie Rufe, die das orchestrale Leben erwecken, das sich langsam immer stärker entfaltete. Der Orchesterklang wirkte wie ein Organismus, der immer lebendiger wurde, wie ein Torso, der zu leuchten, zu glänzen und zu leben schien, und ohne Übergang glitt das musikalische Leben direkt in den Kopfsatz der Ersten Sinfonie von Gustav Mahler über. Im Vergleich zur Aufführung vor sechs Jahren in Jena wirkten beide Werke tiefer, der Sog der Mahler-Sinfonie, die Homogenität und Transparenz ihres Klangbildes hat eine großartige Steigerung erfahren. Verhalten begann der erste Satz, die Streicher erklangen, wie durch leichten Nebel verschleiert, die Holzbläser imitierten Trompetensignale, durch die geöffneten Türen waren entfernte Trompetenklänge zu hören, und dann blühte im liedhaften „Ging heut’ morgen übers Feld“ der gesamte Orchesterklang prachtvoll auf. Im zweiten Satz ließ Simon Gaudenz die Ländler-Melodien derb und drastisch musizieren, die folgenden Walzermelodien erinnerten an die Tanzböden der Wiener Vorstädte. Der dritte Satz begann mit der leicht verfremdeten Intonation des Bruder-Jakob-Themas, auf den skurrilen Trauermarsch folgte Heurigenmusik. Hohes und Niederes verschmolz miteinander, ehe in den hohen Streichern das vierte der Lieder eines „fahrenden Gesellen“ zitiert wurde. Der vierte Satz traf die Hörer wie der „Blitz aus einer dunklen Wolke“. Die Jenaer Philharmonie bewältigte unter dem souveränen, befeuernden Dirigat ihres Chefdirigenten die ungeheuren Steigerungen und Entwicklungen der musikalischen Themenvielfalt. Immer wieder öffneten sich Abgründe, aber noch kann Mahlers Komposition sie kraftvoll überspringen und zum grandiosen Finale führen.
Sehr herzlicher, lang anhaltender Beifall, Bravorufe und am Ende stehende Ovationen für die Jenaer Philharmonie, Andrea Scartazzini und Simon Gaudenz. Er hat mit unserem Orchester und seinem Composer in Residence den Baslern etwas von dem zurückgegeben, was er als junger Student hier empfangen hat. Als Zugabe hatten Orchester und Dirigent als Reverenz an die Schweiz Florian Walsers Komposition „Evviva i Soci“ im Programm. Sie ernteten mit diesem Stück, das von Kuhglocken eingeläutet wurde, Beifallsstürme.
Das glanzvolle Gastspiel der Jenaer Philharmonie in Basel und dessen herzliche Aufnahme durch das Publikum hat gezeigt, dass das Orchester unserer Stadt in der Lage ist, in jeder europäischen Kulturmetropole erfolgreich zu konzertieren.
Dr. Dietmar Ebert
Fotos: Christoph Staemmler