Aufbruch in neue Klangwelten
Ein glanzvolles Konzert mit Herbert Schuch und der Jenaer Philharmonie unter Simon Gaudenz
Zoltán Kodalys „Esti dal“ kombiniert mit seinen „Tänzen aus Galanta“
Im Foyer vor dem großen Volkshaussaal sangen die jungen Männer des Knabenchors der Jenaer Philharmonie Zoltán Kodálys „Abendlied“ anrührend und klangschön. „Esti dal“ (Abendlied) hatte Kodály 1938 komponiert, in einer Zeit, in der wache und sensible Menschen das Nahen des Zweiten Weltkriegs ahnen konnten. In Kodálys „Abendlied“ bittet ein junger Soldat Gott um ein sicheres Obdach für die Nacht. Wie die jungen Männer, rhythmisch prägnant von Berit Walther dirigiert, das Abendlied in ungarischer Sprache sangen und allen melodischen und rhythmischen Anforderungen gerecht wurden, verdient höchste Anerkennung. Kaum war dieser Gesang leise verklungen, hob Simon Gaudenz den Taktstock, und das Orchester der Jenaer Philharmonie setzte unter seiner Leitung mit Kodálys rhythmisch stark akzentuierten „Tänzen aus Galanta“ einen ersten Glanzpunkt. Die „Tänze aus Galanta“ schrieb Kodály 1933 zum 80-jährigen Gründungsjubiläum des Budapester Philharmonischen Orchesters. In Galanta, einem Marktflecken an der Bahnstrecke Wien-Budapest gelegen, und heute zur Slowakischen Republik gehörend, verbrachte Kodály sieben Jahre seiner Kindheit. Den Klang der dortigen „Zigeunerkapelle“ noch im Ohr, verband er volkstümliche Motive und Rhythmen mit farbigem Orchesterglanz. Auf die langsame Einleitungsmelodie Lassú (Klarinetten-Solo: Christof Reiff) folgt eine Friska, ein ungarischen Tanz, der bald schneller, bald langsamer und wieder schneller wird und in einem fulminanten Czárdás-Finale endet. Wie das Jenaer Philharmonische Orchester unter Simon Gaudenz Kodálys „Tänze aus Galanta“ spielt, braucht es keinen Vergleich mit anderen Orchestern in größeren Städten hierzulande zu scheuen. Und eine Kombination von „Esti dal“ und den „Tänzen aus Galanta“ gibt es, wenn ich das richtig sehe, nur in Jena.
Gleichklang von Herbert Schuch mit dem Jenaer Philharmonischen Orchester unter der Stabführung seines Chefdirigenten
Der 1979 im rumänischen Temeschburg geborene Herbert Schuch gehört zu den besten Pianisten seiner Generation. Er übersiedelte 1988 mit seiner Familie nach Deutschland und studierte u. a. bei Karl-Heinz Kämmerling in Salzburg. Sein Duo-Abend mit Maximilian Hornung konnte nicht live in Jena stattfinden, doch wer die Video-Aufnahme aus der Kölner Philharmonie, die von Jena-TV ausgestrahlt wurde, gesehen hatte, wusste, dass das Konzert mit Herbert Schuch Außergewöhnliches verhieß. Bei seinem Spiel von Beethovens 1. Klavierkonzert in C-Dur op. 15 war von Beginn an eine Gleichgestimmtheit mit dem Orchester und Simon Gaudenz zu bemerken. Herbert Schuch ließ den musikalischen Geist Haydns spüren und zugleich, vor allem in den modulationsreichen Kadenzen des Kopf- und Finalsatzes, das Neue, auf spätere Konzerte Beethovens, auf Schubert, Schumann und Mendelssohn Vorausweisende markant anklingen. Im kongenialen Zusammenspiel fanden er und das Orchester unter seinem Chefdirigenten zu einem lichtdurchfluteten Beethoven-Klang, in dem das Lächeln Mozarts hindurchschimmerte. Es war, als ob die ganze Schwere, die im 19. und bis weit ins 20. Jahrhundert auch über Beethovens Frühwerk gelegen hatte, von seinem 1. Klavierkonzert abgefallen wäre. Es wirkte regelrecht befreit. So musizierten Herbert Schuch und das Orchester unter Simon Gaudenz mit einer Leichtigkeit und Tiefe, die selten zu erleben ist. Bewundernswert war, wie Herbert Schuch sich ganz in den Dienst des Werkes stellte und gerade dadurch seine pianistische Meisterschaft auf’s Schönste entfalten konnte. Das Publikum applaudierte enthusiastisch, und Herbert Schuch bedankte sich mit dem wunderbar gespielten Impromptu in Ges-Dur von Schubert. Sein Beethoven- und vor allem sein Schubert-Spiel erinnerten ein wenig an seinen Mentor Alfred Brendel, ein wenig an den legendären Arthur Schnabel; und doch war deutlich in seinem technisch perfekten, ausdrucksstarken und partiturgetreuen Spiel seine ganz eigene, sehr durchdachte und ausgewogene Klangvorstellung zu hören.
Simon Gaudenz und das Jenaer Philharmonische Orchester mit meisterhafter Aufführung von Johannes Brahms’ 1. Sinfonie in c-Moll
Zum Abschluss des Konzerts spielte das Orchester unter der Stabführung seines Chefdirigenten Johannes Brahms’ 1. Sinfonie in c-Moll op. 68. So kraftvoll und zugleich transparent, so sauber und ausdrucksstark in allen Instrumentengruppen war sie im Volkshaus noch nicht zu hören. Wie das dichte Gewebe motivisch-thematischer Beziehungen hörbar wurde, die Streicher, Holz- und Blechbläser ebenso wie der Paukist Vorzügliches leisteten, und Simon Gaudenz das berühmte Thema im Finalsatz „aussingen“ ließ und zum strahlenden Finale führte, das war ein einzigartiges musikalisches Erlebnis. Bereits die Sitzordnung der Streicher ließ ahnen, dass Simon Gaudenz einen originalgetreuen Brahms-Klang anstrebte, in dem die Tradition Beethovens stark nachwirkt, aber bereits ein neues, sehr feines Geflecht von Melodien und Motiven vernehmbar wird: im groß angelegten Kopfsatz mit seinem Dreiton-Leitthema, im Andante Sostenuto mit seiner kantabel strömenden Hauptmelodie, im dreiteiligen graziösen Allegretto und im „großen Instrumentalgesang“ des Finalsatzes. Es war eine Freude zu erleben, mit welcher Ausgeglichenheit in allen Orchestergruppen und mit welcher Spielfreude und Hingabe alle Instrumentalistinnen und Instrumentalisten unter Simon Gaudenz die erste Sinfonie von Johannes Brahms zum großartigen musikalischen Erlebnis werden ließen. Ein besonderer Dank geht an Rosa Donata Milton, die am ersten Pult Hervorragendes leistete und natürlich an Simon Gaudenz für sein Brahms-Dirigat und einen Abend mit drei musikalischen Glanzpunkten. Bravo!
Dr. Dietmar Ebert