Buchrezension
Ernst Schwaßmann – Ein Leben als Dirigent im 20. Jahrhundert
Gert-Eberhard Kühnes Buch – eine Fundgrube für Musikliebhaber und historisch interessierte Leser
Gert-Eberhard Kühne, emeritierter Professor für Neurologie und Psychiatrie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena brachte 2018 im quartus-Verlag Bucha bei Jena sein für die Kulturgeschichte der Stadt Jena bedeutsames Buch „Ernst Schwaßmann – ‚Vater‘ der Jenaer Philharmonie. Kapellmeister des Städtischen Sinfonieorchesters 1934-45“ heraus. In ihm versammelte er die Ergebnisse einer mehrjährigen akribischen Recherche. Gert-Eberhard Kühne hat als Abiturient in Köthen Ernst Schwaßmann am dortigen Theater erlebt und ist ihm in Halle während seines Studiums wieder begegnet. Am Landestheater Halle war Schwaßmann von 1950 bis 1959 als Opernkapellmeister angestellt; seine jüngeren Kollegen waren Kurt Masur und Klaus Tennstedt, und am 17. August 1958 dirigierte er Antonín Dvořáks „Rusalka“, die erste Regiearbeit des jungen Harry Kupfer.
So war es der Opernkapellmeister, durch dessen mitreißende Aufführungen am Stadttheater Köthen und am Landestheater Halle Gert-Eberhard Kühne prägende musikalische Eindrücke empfing. Als Vorstandsmitglied der Philharmonischen Gesellschaft Jena e. V. war es ihm nun ein Herzensbedürfnis, anlässlich des 80. Geburtstages der Jenaer Philharmonie, der Gründungsphase des Orchesters nachzuspüren. Um aber ein umfassendes Bild des Dirigenten Ernst Schwaßmann zeichnen zu können, bedurfte es nicht nur sehr gründlicher Studien im Jenaer Stadtarchiv, sondern es waren auch Recherchen an früheren und späteren Wirkungsorten Ernst Schwaßmanns nötig, so in Berlin, Gotha, Friedrichroda, Weißenfels, Staßfurt, Köthen, Halle, Greifswald, Wismar und auf der Insel Poel. Es ist erstaunlich, welche Fülle von Materialien der Autor in den Stadt- und Landesarchiven, den Forschungsbibliotheken, Theatern und Museen erschlossen hat. Freilich waren nur wenige Zeitzeugen zu finden, umso größer ist der Glücksfall, dass die Sängerin und Chorpädagogin Gisela Schwaßmann-Spranger (1932-2018), die zweite Ehefrau Ernst Schwaßmanns, dem Autor vieles über das gemeinsame künstlerische Wirken des Paares in Halle, Greifswald, Wismar und auf der Insel Poel berichten und dokumentarisch belegen konnte.
Akribisch hat Gert-Eberhard Kühne die Kindheit, Jugend und die Studienjahre Ernst Schwaßmanns untersucht. Am 5. Januar 1899 wurde er in Brasilien geboren und zog im frühen Kindesalter mit den Eltern nach Berlin. Dass die Großmutter mütterlicherseits jüdischer Herkunft war, ist stark zu vermuten, aber nicht dokumentierbar, da keine eindeutigen Aussagen Ernst Schwaßmanns darüber vorliegen. Er besuchte die Oberrealschule am Seepark in Berlin-Wilmersdorf und mit hoher Wahrscheinlichkeit das Stern’sche Konservatorium. Ganz sicher konnte der Autor nachweisen, dass Schwaßmann die Fächer Komposition, Instrumentenkunde, Partiturspiel, Opernstudium, Dirigieren, Klavier, Orgel und Musikgeschichte in einem vierjährigen Studium am Klindworth-Scharwenka-Konservatorium in Berlin belegt hat.
Die Breite seiner Ausbildung befähigte ihn, seine Aufgaben als Solo-Repetitor und Kapellmeister (1919-1923), später sogar 1. Kapellmeister am Landestheater Gotha (1924-1928) mit Erfolg wahrzunehmen. Unschätzbare Erfahrungen erwarb er sich als Dirigent der Gothaer Liedertafel. Bereits in jungen Jahren zeigte sich sein Geschick, Laienchöre zu erstaunlichen Leistungen zu führen. Nach einem Intermezzo als Kapellmeister des Kurorchesters Friedrichroda (Sommer 1928) war Schwaßmann von 1929 bis 1931 als UFA-Kapellmeister in Königsberg tätig. In den größeren Städten gab es in den 1920er Jahren UFA-Orchester, die in den großen Kinos die Musik zu Stummfilmen spielten. Nun fällt die Weltwirtschaftskrise 1929 bis 1933, die eine massenhafte Arbeitslosigkeit zur Folge hatte, mit dem Aufstieg des Tonfilms zusammen, sodass auch viele Instrumentalisten arbeitslos wurden. Für Ernst Schwaßmann, der 1920 Johanna Kumm geheiratet und mittlerweile eine vierköpfige Familie zu ernähren hatte, war die Situation prekär, und er übernahm am 25. Juni 1931 zunächst probeweise die Leitung des Städtischen Orchesters Weißenfels, am 11. Dezember desselben Jahres beschloss der Magistrat, dem Wunsch des Orchesters nachzukommen und Ernst Schwaßmann zu gestatten, die Bezeichnung „Städtischer Musikdirektor“ zu führen. Der Magistrat der Stadt Weißenfels betonte zugleich, dass die Stadt damit keinerlei Verpflichtungen gegenüber Ernst Schwaßmann und dem Orchester eingehe. Die von Gert-Eberhard Kühne eingesehenen Dokumente legen nahe, dass es trotz musikalischer Erfolge in Weißenfels für den städtischen Musikdirektor schwer war, seine Familie zu ernähren und finanziellen Verpflichtungen aus früheren Jahren nachzukommen. Hinzu kam eine Auseinandersetzung mit einem Orchestermitglied, die offenbar eskaliert war. Der Orchestervorstand teilte dem Weißenfelser Magistrat mit, dass Ernst Schwaßmann am 19. August 1933 freiwillig aus dem Orchester ausgeschieden sei.
Der Autor vermutet, dass Schwaßmann zwischen dem Sommer 1933 und dem Abschluss seines Privatdienstvertrags in Jena als Städtischer Kapellmeister vom 1. November 1934 an, seinen Lebensunterhalt durch Musikunterricht und gelegentliche Gastspiele verdient hat. Am 1. Mai 1933, also noch in seiner Weißenfelser Zeit trat Schwaßmann der NSDAP bei. Später hat er angegeben, er habe sich aus dem Zwang heraus zur Partei gemeldet, um „für sich eine Lebensstellung zu erhalten und für seine Familie zu sorgen“. Auf alle Fälle mag das für den Jenaer Oberbürgermeister und Kreisleiter Armin Schmidt neben den musikalischen Fähigkeiten Schwaßmanns ein Faktor gewesen sein, der dessen Einstellung günstig beeinflusst hat. Sein Wirken als Städtischer Kapellmeister hat sowohl eine kulturpolitische, als auch eine musikhistorische Komponente.
Die Idee, ein städtisches Orchester zu gründen, hatte auf Grund der schwierigen wirtschaftlichen Verhältnisse in den 1920er Jahren keine Chance zur Realisierung. Erst die 1934 langsam einsetzende wirtschaftliche Stabilisierung, das „nationalsozialistische Arbeitsbeschaffungsprogramm“ und die Gründung eines städtischen Kulturamtes, das die Bündelung, Zentralisierung und Kontrolle aller in der Stadt Jena stattfindenden kulturellen Aktivitäten ermöglichte, gaben Oberbürgermeister Armin Schmidt die Instrumente in die Hand, um ein aus zunächst 28 Instrumentalisten bestehendes Orchester im Herbst 1934 zu gründen. Der kulturpolitische Hintergrund war, dass er den traditionellen „Akademischen Konzerten“ unter Rudolf Volkmann „Städtische Konzerte“ („Volkskonzerte“) entgegen setzen wollte und ein städtisches Orchester für die Feiern zu Friedrich Schillers 175. Geburtstag (10. November 1934) und zur 700-Jahr-Feier der Stadt Jena (1936) dringend gebraucht wurde. Zudem war 1934 ein Jahr, in dem die Nationalsozialisten zwar die politische Macht errungen hatten, aber viele der sozialdemokratisch orientierten oder dem Gedankengut Ernst Abbes verpflichteten Zeissianer und Schottianer dem NS-System noch skeptisch gegenüber standen. Viele der Sport- und Kultur-Vereine suchten nach Trägern, die ihnen in anderer Form das „Überleben“ ermöglichten. Das betraf natürlich auch die Jenaer Gesangsvereine. Für die Jenaer „NS-Kulturpolitik“ bedeutete die Gründung eines städtischen Orchesters eine ideale Möglichkeit, die alte sozialdemokratische Idee, die arbeitenden Menschen mit den höchsten Errungenschaften der Kultur vertraut zu machen, unter „nationalsozialistischer Flagge“ weiterzuführen, Orchester und Gesangsvereine in gemeinsamem Wirken zusammenzuführen und gleichzeitig die Ziele der nationalsozialistischen Kulturpolitik und die Vorgaben der Reichsmusikkammer durch- und umzusetzen.
Das Städtische Orchester Jena wurde am 1. November 1934 gegründet und Ernst Schwaßmann am gleichen Tag als Städtischer Kapellmeister (zunächst bis 31. März 1935 befristet) eingestellt. Damit war er dem Kulturamt und Oberbürgermeister Armin Schmidt nicht nur unterstellt, sondern nahezu ausgeliefert. Die Musik zur Gedenkfeier für die am 9. November 1923 und später gefallenen Nationalsozialisten dirigierte allerdings Hermann Köcher; Ernst Schwaßmann trat erst einen Tag später zur Schiller-Feier ans Pult des neuen Orchesters und dirigierte die Ouvertüre in B-Dur und die Zwischenaktmusik zu „Rosamunde“ von Franz Schubert.
Das erste große Volkskonzert fand am 29. November 1934 statt. Das Jenaer Orchester war durch Mitglieder der Landeskapelle Rudolstadt auf ca. 50 Musiker verstärkt worden, neben dem Bassbariton Karl Heerdegen aus Weimar wirkten die Jenaer Liedertafel und der Otto-Schott-Chor mit (fast 200 Sängerinnen und Sänger!). Es erklangen Ausschnitte aus „Tannhäuser“, „Die Walküre“ sowie das Vorspiel zu den „Meistersingern von Nürnberg“, der „Wahn-Monolog“ und die Ansprache des Hans Sachs „Verachtet mir die Meister nicht“ mit der Schluss-Apotheose des Chores. Mit diesem Wagner-Abend hatte Ernst Schwaßmann unter Beweis gestellt, dass im Jenaer Orchester tüchtige Musiker saßen, er die Jenaer und die Rudolstädter Instrumentalisten zu einem für die damalige Zeit guten Orchesterklang zusammenführen konnte, dass es Potentiale für die Aufführung chorsinfonischer Werke gab und es gelingen konnte, auswärtige Solisten von Rang als Gäste nach Jena zu holen.
Wie in einem Nukleus scheinen bereits in diesem Konzert die besonderen musikalischen Fähigkeiten Ernst Schwaßmanns auf, die er in den Folgejahren immer mehr entfalten wird. Er verstand es, das neu gegründete Orchester zu einem „Klangkörper“ zu formen. Bereits in einem Zeugnis des UFA-Filmorchesters Königsberg war ihm bescheinigt worden, ein „guter Orchestererzieher“ zu sein. Immer wieder hat es Schwaßmann verstanden, mit dem Jenaer Orchester, der Landeskapelle Rudolstadt und freien Jenaer Instrumentalisten ein Gesamtorchester zu bilden, das die großen Werke des deutsch-österreichischen klassischen und romantischen Repertoires, des Barock und des frühen 20. Jahrhunderts (mit Ausnahme der klassischen Moderne) zur Aufführung brachte.
Die russische und französische Orchesterliteratur wurde nur ganz selten ins Repertoire aufgenommen, und so ist zu vermuten, dass der Orchesterklang durch die starke Konzentration auf Beethoven, Brahms und Bruckner eine gewisse Schwere erlangte. Immerhin gelang es beim zweiten Gastspiel der Luisenburg-Festspiele Wunsiedel zum Paradiesfest 1935 William Shakespeares „Sommernachtstraum“ mit der Begleitmusik Felix Mendelssohn Bartholdys aufzuführen. In diesem Falle konnte sich der Intendant der Luisenburg-Festspiele gegen Oberbürgermeister Armin Schmidt durchsetzen, und Ernst Schwaßmann dirigierte Mendelssohns Musik. Orchester und Dirigent wurde von der Kritik ein stimmungsvolles und farbenreiches Spiel bescheinigt.
Bereits in den Konzerten mit der Gothaer Liedertafel hatte Ernst Schwaßmann gezeigt, wie gut er mit Laienchören umgehen und sie zu beachtlichen Leistungen führen konnte. Ähnliches gelang ihm in Jena mit dem Otto-Schott-Chor (bis 1933 und nach 1946 Volkschor Jena), der Jenaer Liedertafel und zeitweise mit dem Jenaer Liederkranz. Durch die intensive Arbeit mit den Laienchören gelang Ernst Schwaßmann die Aufführung großer chorsinfonischer Werke wie die des Händel-Oratoriums „Der Sieg von Zeit und Wahrheit“ (allerdings mit der in der NS-Zeit üblichen Tilgung von „Formulierungen“ wie Jehova und Zions heiligem Berg), Ludwig van Beethovens 9. Sinfonie und Johannes Brahms’ „Begräbnisgesang“ sowie der Rhapsodie für Alt, Männerchor und Orchester und des „Schicksalsliedes“ (Text: Hölderlin). Neben diesen großen Werken des Barock, der Klassik und der Romantik wirken die Erstaufführungen von Georg Böttchers „Oratorium der Arbeit“ (1936) und „Einer baut einen Dom“ von Hans Heinrich Dransmann (1936 unter Leitung des Komponisten) sehr dem nationalsozialistisch geprägten Zeitgeist verhaftet.
In seiner Zeit als Städtischer Musikdirektor gelang es Ernst Schwaßmann, eine Reihe damals berühmter Solistinnen und Solisten als Gäste nach Jena zu holen, wie die Pianistinnen Elly Ney und Rosl Schmidt, ihre männlichen Kollegen Edwin Fischer, Wilhelm Kempff und Max Martin Stein, die Geiger Gustav Havemann und Georg Kulenkampf, die Cellisten Ludwig Hölscher, Adolf Steiner und Rudolf Metzmacher sowie den von Wilhelm Furtwängler als 1. Konzertmeister der Berliner Philharmoniker verpflichteten Siegfried Borries.
Aus der Fülle des von Gert-Eberhard Kühne akribisch dokumentierten und zum ersten Mal publizierten Materials über Ernst Schwaßmanns Jenaer Zeit lässt sich resümierend sagen, dass es der „Vater“ des Städtischen Orchesters verstanden hat, dieses zu einem Klangkörper zu formen, dass er bis in die Kriegsjahre hinein versuchte, ein anspruchsvolles Konzertprogramm zu gestalten, neben den „Volkskonzerten“ die beliebten „Paradieskonzerte“ dirigierte, dass er eng und gut mit den Laienchören zusammenarbeitete und es vermochte, eine gute Partnerschaft zu Professor Rudolf Volkmann zu pflegen, sodass Akademische Konzerte und Konzerte des städtischen Kulturamtes nicht in Konkurrenz zu einander standen.
Der NS-Kulturpolitik und deren rigider Durchsetzung durch Oberbürgermeister Armin Schmidt und dessen Vertrauten Hans Dittmer ist es geschuldet, dass das Repertoire des Orchesters eingeschränkt blieb und eine Reihe von Gegenwartskomponisten ihre Werke zur Aufführung bringen konnten, die der Reichsmusikkammer genehm waren. So ist das Wirken Ernst Schwaßmanns in seiner Jenaer Zeit mehrdeutig und zwiespältig. Einerseits hat er sich von den Nationalsozialisten „kulturpolitisch vereinnahmen“ lassen, andererseits hat er die musikalischen Grundlagen für ein Sinfonieorchester in Jena gelegt, auf denen nach dem Krieg Carl Ferrand, Dr. Albert Müller, Gerhard Hergert und Hans-Heinrich Schmitz aufbauen konnten. Das eine ist mit dem anderen unauflöslich verflochten, denn zu Schwaßmanns Aufgaben als Städtischer Kapellmeister gehörte neben den Dirigaten seiner Konzerte die musikalische Ausgestaltung von Veranstaltungen, die von der NSDAP-Ortsgruppe u. a. nationalsozialistischen Organisationen wie „Kraft durch Freude“ organisiert wurden. Eine Weigerung hätte das ohnehin angespannte Verhältnis zu Oberbürgermeister Armin Schmidt weiter belastet und zur Kündigung von Ernst Schwaßmann führen können. Nach 1945 schrieb der verdienstvolle Lehrer Paul Patzer, der 1946 den Jenaer Volkschor neu begründete, in einem Zeugnis, das er Ernst Schwaßmann ausstellte, dieser „sei ihm nie als Aktivist der Partei gegenüber getreten, […] habe auch in der Nazizeit Werke von Mendelssohn und Lendvai aufgeführt und habe mit dem damaligen Oberbürgermeister Schmidt […] mehr als einmal im Streit gelegen, als er Nicht-Parteigenossen in das Orchester aufgenommen hatte […], so daß mehr als einmal seine Stellung als Orchesterleiter auf dem Spiel stand“.
Das Jenaer Orchester firmierte von 1945 bis 1949 unter dem Namen „Orchester des Stadttheaters Jena“. Es wurde seit dem 15. August 1945 von Carl Ferrand geleitet und in das von John Biermann geführte Jenaer Stadttheater integriert. In dieser schwierigen Zeit, in der viele der größeren Theater in Trümmern lagen, begab sich Ernst Schwaßmann auf die Suche, um wieder eine Anstellung als Dirigent zu finden. Nach einem Probedirigat wurde er zum 1. Kapellmeister und Musikalischen Oberleiter an das Staßfurter Theater verpflichtet, konnte aber mit einem relativ kleinen Orchester (23 Mitglieder) seine künstlerischen Ambitionen nicht realisieren. So wechselte er bereits zu Beginn der Spielzeit 1948/1949 an das Stadttheater Köthen. Offenbar hatten sich er und seine Frau Johanna auseinandergelebt, denn sie folgte ihm nicht ins anhaltinische Köthen und zog in die Lausitz. Die Ehe wurde 1951 geschieden, und 1958 verließ sie nach einem vergeblich gestellten Ausreiseantrag illegal die DDR, um mit ihren beiden aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrten Söhnen nach Kanada auszuwandern.
Für die Beschreibung von Ernst Schwaßmanns Wirken in Köthen (1948-1950) und Halle (1950-1959) konnte Gert-Eberhard Kühne auf eine Fülle von Archivalien, Programmheften und eigenen Erinnerungen zurückgreifen. Er schildert überzeugend die kulturelle Aufbruchsstimmung in der Bach-Stadt, wie er sie als Abiturient erlebte. Unter Ernst Schwaßmanns musikalischer Leitung erlebten die Köthener die lebendige Aufführung großer Musikdramen wie „Tosca“, „Ein Maskenball“, und „Carmen“ und schwungvoll dirigierte Operettenvorstellungen wie „Der Vogelhändler“, „Der Vetter aus Dingsda“ und „Die Fledermaus“. Die von der sachsen-anhaltinischen Landesregierung beschlossene Schließung der Opernsparte am Stadttheater Köthen veranlasste Ernst Schwaßmann dazu, 1950 seinen Vertrag in Köthen zu beenden. Bereits zu Beginn der Spielzeit 1950/1951 wurde er als 1. Opernkapellmeister ans Landestheater Halle verpflichtet. Der Autor arbeitet deutlich heraus, wie sich in den 1950er Jahren das Landestheater Halle neben den Berliner Opernhäusern, der Dresdner Staatoper und der Städtischen Oper Leipzig einen eigenständigen Platz im Musikleben der DDR errang. Einer der Gründe war das Wirken von Horst Tanu-Margraf als Generalmusikdirektor und die ab 1952 einsetzende Händel-Renaissance.
Ernst Schwaßmann konnte in seinem Wirken als Opernkapellmeister fortführen, was der vormalige Generalmusikdirektor Gerhart Wiesenhütter aufgebaut hatte. Gert-Eberhard Kühne zitiert aus dem Programmheft des „Troubadour“ (1950) Schwaßmanns musikalisches Credo, die „Vielfalt der Themen, die ewig junge Schönheit und Sangbarkeit, verbunden mit einem mitreißenden dramatischen Feuer […] realistisch, glaubhaft und hinreißend darzustellen [und] in der Bescheidenheit seiner Mittel zum genialen und gültigen Kunstwerk […] zu erheben“. Dieses Credo war über fast ein Jahrzehnt der Garant für Schwaßmanns Operndirigate in Halle, und es ist naheliegend, dass der junge Harry Kupfer in Schwaßmann einen dirigierenden Partner für seine Regieassistenzen und seine erste eigene Regie-Arbeit fand. Harry Kupfer hatte nach seinem Abschluss an der Leipziger Theaterhochschule die Regieassistenz in Tschaikowskis „Pique Dame“ und Puccinis „Tosca“ übernommen. Beide Inszenierungen wurden von Ernst Schwaßmann dirigiert. Er war es auch, der die erste Regiearbeit Harry Kupfers am 17. August 1958 zum Erfolg führte: Antonin Dvořáks „Rusalka“. Harry Kupfer hat stets betont, dass er „seinen Lehrjahren“ in Halle sehr viel verdankte für seine spätere Arbeit am Staatstheater Dresden, an der Komischen Oper Berlin und als international gefragter Opernregisseur. Ihm ging es um interessante musikdramatische Inszenierungen, die stets im Einklang mit der Partitur standen.
Schließlich betont der Autor der aufschlussreichen Biographie über Ernst Schwaßmann, dass dem Dirigenten in Halle ein für die damalige Zeit sehr gutes Gesangsensemble zur Verfügung stand. Dazu gehörten Sängerinnen und Sänger, wie Philine Fischer, Irene Tzschoppe, Charlotte Berthold, Franz Stumpf, Werner Enders, Hellmuth Kaphahn, Rolf Apreck, Kurt Hübenthal, Günter Leib und Karl-Friedrich Hölzke. Einige von ihnen wechselten später nach Leipzig, Dresden und Berlin und fast alle wurden für Schallplattenaufnahmen der Firma Eterna verpflichtet. Kurt Masur war in der Spielzeit 1950/51 zusammen mit Ernst Schwaßmann am Landestheater Halle engagiert. Er schrieb 2014 an Gert-Eberhard Kühne, seine Erinnerungen an den 28 Jahre älteren Dirigenten Ernst Schwaßmann seien noch sehr lebendig. „Er war für mich damals ein sehr großes Vorbild als Dirigent mit großer Routine, aber auch gleichzeitig enormer Gewissenhaftigkeit. Sein Beispiel als Dirigent gab mir damals wichtige Impulse, wie man die Zusammenarbeit zwischen Orchester und Dirigent neu gestalten kann. Ich erinnere mich an ihn als einen sehr aufgeschlossenen und freundschaftlich wirkenden Dirigentenkollegen.“ Die Zeit seines Hallenser Wirkens muss für Ernst Schwaßmann äußerst fruchtbringend gewesen sein, doch auch privat fand er ein neues Glück. 1956 heiratete er seine Gesangsschülerin Gisela Spranger, die als Choristin am Landestheater Halle engagiert war, aber seit 1957 auch mit Solo-Partien in „Pique Dame“, „Rusalka“ und „Figaros Hochzeit“ betraut wurde. Für Gert-Eberhard Kühne war es ein Glücksfall auf Gisela Schwaßmann-Spranger zu treffen, die ihm als Zeitzeugin sehr viel über das Wirken ihres Mannes in Halle, Greifswald, Wismar und auf der Insel Poel berichten konnte.
Am 17. Mai 1959 fand im Anschluss an eine von Ernst Schwaßmann dirigierte „Fidelio“-Aufführung eine persönliche Ehrung des Dirigenten statt. Er konnte sein 40-jähriges Bühnenjubiläum feiern und das Hallenser Publikum dankte ihm herzlich für viele unvergessliche Opernaufführungen. Im selben Jahr löste Schwaßmann seinen Vertrag mit dem Landestheater Halle, um zu Beginn der Spielzeit 1959/60 die Position des Musikdirektors am Theater der Universitätsstadt Greifswald zu übernehmen. Diese Spielzeit brachte ihm die musikalische Leitung von Dvořáks „Rusalka“, Mozarts „Figaros Hochzeit“ und Cimarosas „Heimlicher Ehe“ ein, in denen Gisela Schwaßmann-Spranger tragende Partien sang. Diese Aufführungen fanden viel Zuspruch beim kulturbegeisterten Publikum der Universitätsstadt Greifwald; doch eine Neuordnung der Theatersparten im Bezirk Rostock führte dazu, dass mit der Spielzeit 1960/1961 das Musiktheater in Greifswald aufgelöst und Chor und Orchester dem Stralsunder Theater zugeordnet wurden. Ernst Schwaßmann wurde als Musikdirektor und seine Ehefrau als „lyrischer Sopran“ ans Theater der Werftstadt Wismar verpflichtet. Schwaßmann muss es durch kenntnisreiche Einführungsvorträge und schwungvolle Dirigate von Opern, Operetten und Orchesterkonzerten vermocht haben, das eher bildungsferne Publikum der Werftstadt Wismar zu begeistern. Berührend lesen sich Berichte von Besuchern, die vor allem aus dem Umland kamen, von sich aus nie auf die Idee gekommen wären, sich Dvořáks meistgespielte Oper anzuhören, und sich doch vom Schicksal der Nixe „Rusalka“ und Dvořáks Musik angesprochen fühlten. Die Berichte von Gisela Spranger aus ihrer Wismarer Zeit zeigen, dass Ernst Schwaßmann kein elitärer Musiker war, sondern ein lebensverbundener Dirigent, der sich auf sein Publikum einzustellen vermochte.
Zum letzten Mal traten Gisela und Ernst Schwaßmann in Wismar während eines Sonderkonzerts am 27. März 1963 in Joseph Haydns „Die Jahreszeiten“ auf. 1963 wurde das Theater in Wismar als zweites Haus dem Staatstheater Schwerin angegliedert. Ernst Schwaßmann stand damals vor seinem 65. Geburtstag, und der damalige Intendant des Wismarer Theaters Manfred Wedlich ermöglichte es, dass Schwaßmann in den Folgejahren den Volkschor der Insel Poel leiten konnte. Seine Frau stand ihm als Stimmbildnerin zur Seite. So konnte der Dirigent in seinen letzten Lebensjahren auf Erfahrungen zurückgreifen, die er bei der Leitung und Formung der Gothaer Liedertafel, der Jenaer Liedertafel, des Otto-Schott-Chores und zeitweise des Jenaer Liederkranzes gesammelt hatte. Das Ehepaar Schwaßmann wurde von den Bewohnern der Insel Poel rasch und sehr herzlich aufgenommen. Sieben Jahre erfüllte die Leitung des Inselchors Ernst Schwaßmanns Rentnerdasein. 1964 sagte er in einem Zeitungsinterview: „Ich fühle mich glücklich, solch einen Chor zu leiten.“ Noch 1971 erklangen unter seiner Leitung neben Volksliedern, mecklenburgischen Volksweisen und Liedern von der Waterkant Melodien aus Opern und Operetten, u. a. von Michail Glinka, Antonín Dvořák, Isaac Dunajewski, Johann Strauss und Nico Dostal. Im Folgejahr erlitt Ernst Schwaßmann einen Schlaganfall. Seine Frau pflegte ihn hingebungsvoll bis zu seinem Tod am 9. September 1972. Die Menschen auf der Insel Poel, vor allem die Sängerinnen und Sänger des Volkschores, verloren mit ihm einen Chorleiter, der ihnen zum väterlichen Freund geworden war.
Professor Gert-Eberhard Kühne ist es mit seiner umfangreichen, quellengesättigten Biografie gelungen, ein umfassendes, facettenreiches Lebensbild Ernst Schwaßmanns zu zeichnen. Sein Buch ist „Grundlagenforschung“ im besten Sinne, es fördert viele Details aus dem Leben Ernst Schwaßmanns erstmals zu Tage, und es ist zu wünschen, dass Leserinnen und Leser, die heute an den einstigen Wirkungsorten des Dirigenten leben, angeregt werden, seinem Leben nachzuspüren und weitere Facetten seiner künstlerischen Tätigkeit zu erschließen. Somit ist es dem Emeritus Gert-Eberhard Kühne gelungen, den Lesern Leben und Wirken Ernst Schwaßmanns nahe zu bringen, einen wichtigen Beitrag zur Musik- und Kulturgeschichte der Stadt Jena zu leisten und Schwaßmanns Verdienste um die Gründung und Formung des Jenaer Orchesters unter denkbar schwierigen politischen Bedingungen herauszuarbeiten. Gleichzeitig ist es ihm gelungen zu zeigen, wie groß der Zwang zu politischen Kompromissen in der NS-Zeit für einen Dirigenten war, der die Aufgaben eines Städtischen Kapellmeisters wahrzunehmen hatte. Der Autor hat es auch vermocht, herauszuarbeiten, wie es der Opernkapellmeister und Musikdirektor verstanden hat, sich während der DDR-Zeit kulturpolitischen Vorgaben, die ihm widerstrebten, zu entziehen. Die Materialfülle, die Gert-Eberhard Kühne vor seiner Leserschaft ausbreitet, ist faszinierend und bietet den Lesern, wenn sie sich auf sie einlassen, reichen Lohn. Die im Anhang zu den jeweiligen Kapiteln beigefügten Programmzettel und Rezensionen aus den Lokalzeitungen sind wichtige Quellen für heutige Leser, um sich Schwaßmanns musikalisches Wirken vorstellen zu können. Es ist Gert-Eberhard Kühnes kenntnisreichem Buch zu wünschen, dass sich neben musikhistorisch orientierten Experten auch viele Besucher der heutigen Philharmonischen Konzerte für das Leben des „Vaters“ der Jenaer Philharmonie interessieren. Ein großes Dankeschön an Professor Kühne für seine umfangeiche, akribische Arbeit!
Dr. Dietmar Ebert
Gert-Eberhard Kühne: „Ernst Schwaßmann ‚Vater’ der Jenaer Philharmonie – Kapellmeister des Städtischen Sinfonieorchesters Jena 1934-45“, Bucha bei Jena (quartus-Verlag) 2018, 944 Seiten, mit zahlreichen Abbildungen, ISBN 978-3-943768-95-4
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