Mahler-Scartazzini-Zyklus VII am 12.05.2023
Ein Glanzpunkt im Jenaer Musikleben
Die Jenaer Philharmonie spannte unter dem inspirierenden Dirigat von Simon Gaudenz einen großen Bogen von Scartazzinis „Omen“ und „Orkus“ bis hin zu den fünf Sätzen der 7. Sinfonie in e-Moll von Gustav Mahler
Das Konzert am Freitag, den 12. Mai, begann mit Andrea Lorenzo Scartazzinis „Omen“, das Gustav Mahlers Sinfonie Nr. 6 in a-Moll vorangestellt ist. Aus einem „Zustand zeitloser Innigkeit“ erhob sich wie ein Omen eine Stelle aus 13 Akkorden. Sie wurden sieben Mal gespielt, gesummt und strebten wie eine spiralförmige Melodie nach oben. Vor allem in den Holzbläsern breitete sich Unruhe aus, die sich auch durch den fein dosierten Einsatz von Schlagwerkinstrumenten immer mehr zu einer Alarmstimmung steigerte und mit einem orchestralen Aufschrei endete, der direkt zu Scartazzinis neuer Komposition „Orkus“ überleitete. Als Hörer schien es, als ob man von den Klangstrudeln, die in atemlosem Tempo aufeinander folgten, regelrecht in die Tiefe gezogen wird. Langsam beruhigte sich das dramatische Geschehen. Harfensoli, Marimba- und Vibraphonklänge, filigrane Streicherflächen und feine Holzbläser-Soli imaginierten eine nächtliche Atmosphäre mit ihren Gefahren und Ruhepunkten, ehe leise eine einsame Bassklarinette verklang. Dann ging „Orkus“ bruchlos in den schleppend beginnenden Kopfsatz von Mahlers 7. Sinfonie in e-Moll über und schlug zugleich den Bogen zu den beiden Nachtmusiken und dem spuk- und schattenhaften Scherzo.
Bereits im Kopfsatz war zu spüren, wie die Jenaer Philharmonie unter Simon Gaudenz einen feinnervigen Mahler-Klang kreierte, der den kantablen und „entrückten“ Themen ebenso gerecht wurde wie den grellen Überzeichnungen und der Tendenz zum Extremen. Das betrifft die erste, schroffe Themengruppe mit ihren marsch- und auftaktartigen Signalen ebenso wie die Zitate des „Alma-Themas“ der 6. Sinfonie und die Erinnerung an Motive der 2. und 3 Sinfonie. Vor allem in den Passagen „seliger Rückschau und Erinnerung“ schien es, als ob das Spiel der Instrumentengruppen sich in jugendstilartigen Linien umschlingen würde.
Die „erste Nachtmusik“ begann mit einem Horn-Solo und glich einer musikalischen Nachtwanderung, in der Naturlaute und serenadenhafte Tonfälle wie im Traum miteinander verschmolzen. Durch das ständige Changieren zwischen Dur und Moll entstand ein merkwürdiges harmonisches Zwielicht, eine Art Traumlicht. Aus dem Gewirr der Stimmen löste sich ein Marschlied mit Anklängen an Mahlers soldatische „Wunderhornlieder“ (Revelge, Tambourg’sell), vor allem im Spiel der Holzbläser waren Paraphrasen jüdischer Klagegesänge zu hören und von Ferne waren kunstferne Klänge (Herdenglocken) zu vernehmen.
Unter dem inspirierenden Dirigat ihres Chefdirigenten spielte die Jenaer Philharmonie das schattenhafte Scherzo mit seinen spukhaft-huschenden Klangfiguren, seinem Spiel der Geister, seinen Wirbeln, seinem plötzlichen Vorwärtsdrängen, Entschwinden und Zerfallen so hinreißend, dass es ganz natürlich als Gravitationszentrum der gesamten Sinfonie erschien. Das Scherzo schien wie eine „bizarre Revue dessen, was im Namen des Tanzes“ (H. Traber), wie Nietzsche ihn überschwänglich pries, alles geschehen kann und doch nicht mit den Kräften des Verstands zu fassen ist.
Zart, sanft und voller Trost erklang die zweite Nachtmusik, in die Gitarren- und Mandolinen-Klänge verwoben sind, so als ob es in diesem Andante amoroso wirklich darum ginge, ein Ständchen zu geben. Auf die Mandoline wird Mahler sowohl in der 8. Sinfonie, als auch im „Lied von der Erde“ zurückgreifen, doch nie wieder werden die gezupften Klänge beider Instrumente eine solche Dominanz gewinnen wie in dieser ebenso kantablen wie doppelbödigen Nachtmusik.
Nach diesen drei Nachtsätzen hat Gustav Mahler im Finalsatz den hellen Tag komponiert. Er wirkt wie in gleißendes Licht getaucht. Simon Gaudenz und das Jenaer Philharmonische Orchester verliehen ihm mit seiner siebenfachen Fanfare und seiner Collage, die bald an große Oper, bald an Militärmärsche, Operettenschlager oder Klänge vom Land erinnerte, eine prachtvolle Klanggestalt, die vor allem vom Glanz der Blechbläser, dem Klang der Glocken und den Schlägen der Pauke geprägt ist. Und doch schien es ein wenig so, als ob in diesem „Sommertagstraum“ die Musik einer latenten Gefährdung ausgesetzt sei. Jubel oder Ironie? Oder vielleicht doch Beides?
Unter ihrem Chefdirigenten schlug die Jenaer Philharmonie den Bogen von Scartazzinis „Omen“ und „Orkus“ zu Mahlers 7. Sinfonie und fand zu einem voluminösen und transparenten Klang, der durch eine Vielzahl von Soli und Zuspielen ebenso geprägt war, wie durch einen samtig-warmen Streicherklang, subtile Holzbläserfiguren, festlichen Blechbläserglanz und den rhythmisch-exakten Einsatz von Pauken, Trommeln, Glocken und anderem Schlagzeug. Simon Gaudenz gelang es ausgezeichnet, das alles in Balance zu halten, für einen Glanzpunkt im Jenaer Musikleben zu sorgen und dem Publikum Gustav Mahlers 7. Sinfonie in e-Moll, die zu Unrecht etwas im Schatten der anderen Sinfonien steht, nahe zu bringen. Das ständige Halten der Spannung innerhalb des großen sinfonischen Bogens und das genaue Musizieren einer Vielzahl instrumentaler Details sorgte für einen spezifischen Mahler-Klang der Jenaer Philharmonie, an dem alle Instrumentalistinnen und Instrumentalisten, alle Aushilfen und vor allem die Stimmführer aller Instrumentengruppen entscheidenden Anteil hatten.
Dr. Dietmar Ebert