Mahler-Scartazzini-Zyklus VIII am 08.03.2024
Jubiläumskonzert wird in die Annalen der Jenaer Musikgeschichte eingehen
Prolog
Der Veranstaltungsort für das Jubiläumskonzert „90 Jahre Jenaer Philharmonie“ am vergangenen Freitag war nicht die traditionsreiche Heimstatt des Orchesters im Volkshaus, sondern die Sparkassen-Arena Jena, brauchte es doch eine Bühne für mehr als 400 Mitwirkende. Auf dem Programm standen „Omen“, „Orkus“ und „Anima“ von Andrea Lorenzo Scartazzini und mit Gustav Mahlers Sinfonie Nr. 8 in Es-Dur, seiner „Sinfonie der Tausend“, das Werk eines Komponisten, der vor 90 Jahren in Deutschland zu den verfemten Tonkünstlern gehörte.
Mehr als 400 Mitwirkende auf der Bühne der Sparkassen-Arena
Um es gleich vorwegzunehmen: Mag auch die Akustik in der Sparkassen-Arena ein wenig trocken gewesen sein und das Ambiente einer Basketballhalle leicht irritiert haben, so gelang es doch, dem Publikum einen opulenten Stimm- und Orchesterklang zu präsentieren. Das homogene Solistenensemble – mit Elisabeth Dopheide, Julia Sophie Wagner und Akiho Tsujii (Sopran), Marlen Bieber und Evelyn Krahe (Alt), mit Corby Welch (Tenor), Thomas Essl (Bariton) und Martin-Jan Nijhof (Bass) – , der Chemnitzer Opernchor, der Philharmonische Chor Jena, der Jenaer Madrigalkreis, der Monteverdichor Würzburg, der Knabenchor der Jenaer Philharmonie, der Nationale Akademische Knaben- und Männerchor Lviv, die Jenaer Philharmonie und die Robert-Schumann Philharmonie Chemnitz bereiteten unter der motivierenden, alles sorgsam koordinierenden Stabführung von Simon Gaudenz dem Jenaer Publikum ein tief berührendes, unvergessliches musikalisches Erlebnis. Alles schien wie aus einem Guss, und die sechs Chöre klangen wie ein einziger großer Chor. Das ist nicht zuletzt Berit Walther, die die Jenaer Chöre, Stefan Bilz, der den Chor des Theaters Chemnitz, Matthias Beckert, der den Monteverdichor Würzburg und Dmytro Katsal, der den Knaben- und Männerchor „Dudaryk“ Lviv einstudierte ebenso zu danken, wie Maria Benyumova, die für die Koordination der Chöre sorgte.
Berührende Uraufführung von »Anima«
Auf Andrea Scartazzinis „Omen“ und „Orkus“, die er der 6. und 7. Sinfonie Gustav Mahlers vorangestellt hatte, folgte die Uraufführung seiner Komposition „Anima“ für Alt, Chor und Orchester. Als Text liegt ihr Goethes „Gesang der Geister über den Wassern“ zugrunde. Der Komponist versteht „Anima“ als Prolog zu Mahlers „Achter“. Das metaphorische Bild eines Seelenzyklus’, den Goethe mit dem Kreislauf des Wassers vergleicht, korrespondiert mit der Läuterung von Fausts Seele im Finale der „Achten“. In „Anima“ gelang es Scartazzini, das Rauschen des Wassers, sein Schäumen und Toben bis hin zum ruhigen Fließen in Töne zu fassen, fein grundiert vom Chor, der einen geisterhaften Klang erzeugte, aus dem sich der Gesang der Altistin Evelyn Krahe lyrisch-sanft erhob. Mit dieser Art Prolog wird das „Rettende“, weiblich Konnotierte der Schlussszene des zweiten Teils der achten Sinfonie antizipiert und ein Kontrast zum hymnischen ersten Teil der Sinfonie gesetzt.
Mahlers »Achte« – ein überkonfessionelles Bekenntnis zu einer von allumfassender Liebe durchdrungenen Musik
Ohne Übergang schloss sich der stimmgewaltige Hymnus „Veni, creator spiritus“ mit seinen imposanten Klangwogen an. Im sauberen, kräftigen und ausdrucksstarken Gesang der Chöre und Solisten wie auch im phänomenalen Orchesterklang offenbarte sich Mahlers Intention, dass der schöpferische Geist das Chaos ordnet. Simon Gaudenz gelang es, sowohl die großen sinfonischen Bögen, als auch kammermusikalische Strukturen und feine Instrumentalsoli und -zuspiele zum Hörerlebnis werden zu lassen.
Das Eingangsthema kehrt dreimal wieder. Anton Webern hat darauf hingewiesen, dass es bei der zweiten Wiederkehr als „Accende lumen sensibus“ („Mach hell unsere Sinne“) in Erscheinung tritt und eine Brücke zum zweiten Teil schlägt. Mein Eindruck war, dass durch Scartazzinis „Anima“ und das „Accende“-Thema Bögen zum zweiten Teil der achten Sinfonie gespannt wurden, die dem Hymnus nichts von seiner Kraft genommen haben, sondern ihn als kolossales musikalisches Monument erscheinen ließen, dass nicht für sich allein stehen kann, sondern des zweiten Teils unbedingt bedarf. Die Vertonung der Schlussszene aus Goethes „Faust II“ ist dreimal so lang wie der Hymnus „Veni, creator spiritus“. Schon die lange Instrumental-Introduktion klang sehr eindrucksvoll, und das Staccato des Chores „Waldung, sie schwankt heran“ zog das Publikum in den Bann des Geschehens, das durch den Dialog der Solistinnen und Solisten mit dem großen Chor auf der Bühne und dem Knabenchor auf der linken „Tribüne“ ergreifende Wort- und Tongestalt annahm. Besonders berührend sang Julia Sophie Wagner mit ihrem hohen Sopran die wunderbar vertonten Verse der Una Poenitentium (eine der Büßerinnen, sonst Gretchen genannt). Die Verse der Mater Gloriosa: „Komm! Hebe dich in höhere Sphären! / Wenn er dich ahnet, folgt er nach!“ erklangen tatsächlich von oben, denn Akiho Tsujii stand in der obersten Reihe der rechten Tribüne. Mit dem „Blicket auf zum Retterblick“, das Corby Welch als Doctor Marianus mit ausdrucksstarkem Tenor sang, begann das einzigartige Finale von Gustav Mahlers „achter Sinfonie“. Bewundernswert war, wie alle Solisten, Chöre und Orchestermitglieder ihre enorme künstlerische Ausdruckskraft in den Dienst der Worte Goethes und der Musik Mahlers stellten, wie Simon Gaudenz die Musik nach oben streben und in das gewaltige Chorfinale münden ließ. Damit erklang Mahlers „Achte“ als das überkonfessionelle Bekenntnis zu einer von allumfassender Liebe durchdrungenen Musik, die es auch heute noch vermag, soziale Bindekräfte zu entfalten. In diesem Sinne wird das Jubiläumskonzert als musikalisches und gesellschaftspolitisches Ereignis in die Annalen der Jenaer Musikgeschichte eingehen.
Dr. Dietmar Ebert