Freitagskonzert № 3 am 09.12.2022
Mozartsche Heiterkeit und Düster-Skurriles bei Prokofjew
Vor Beginn des Konzertes unterzeichneten Oberbürgermeister Dr. Thomas Nitzsche und Simon Gaudenz dessen Vertragsverlängerung als Chefdirigent der Jenaer Philharmonie bis zum Ende der Spielzeit 2025.2026. Simon Gaudenz sprach vom Geben und Nehmen zwischen ihm und dem Orchester und betonte die hohe musikalische Qualität des Jenaer Klangkörpers. Davon konnte sich das Publikum direkt im folgenden Konzert überzeugen, auch wenn weder Simon Gaudenz noch der im Vorfeld des Konzerts angekündigte Dirigent Leo McFall, Gewinner des Deutschen Dirigentenpreises 2015 und Chefdirigent des Symphonieorchesters Vorarlberg, am Pult standen. Leo McFall war kurzfristig erkrankt. Für ihn sprang Vladislav Lavrik ein, der sich als Retter in der Not und ausgezeichneter Dirigent erwies. Er stammt aus einer Musikerfamilie im ukrainischen Zaporizhzhia, war von 2017 bis 2022 Chefdirigent des Tula Symphony Orchestra und lebt seit Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine in Berlin und Warschau.
Zu Beginn des Konzerts spielten Jörg Schneider (Oboe), Christof Reiff (Klarinette), Robinson Wappler (Horn) und Manfred Baumgärtner (Fagott) gemeinsam mit der Jenaer Philharmonie in kammermusikalischer Besetzung Mozarts Sinfonia Concertante in Es-Dur KV 297b. Es ist umstritten, ob das Werk in dieser Form wirklich aus der Feder Mozarts stammt. In der gegenwärtigen Mozart-Forschung setzt sich immer stärker die Meinung durch, dass die Orchesterbegleitung stark von Mozarts Handschrift abweiche, der Solopart der Bläser jedoch deutlich von seinem Kompositionsstil geprägt sei. Gleichviel, ob das Werk ganz oder in Teilen von Mozart selbst stammt oder ihm nur zugeschrieben wird, die vier Bläsersolisten der Jenaer Philharmonie spielten die Sinfonia Concertante ganz im Mozartschen Geist mit virtuoser Leichtigkeit und großer Musizierfreude. Heiterkeit und Frische durchzogen alle drei Sätze, den anmutigen Kopfsatz ebenso wie das lyrisch-träumerische Adagio und die tänzerischen Variationen, in denen jeder der vier Solisten auf seinem Instrument brillieren konnte. Das Jenaer Publikum dankte ihnen mit langem, herzlichem Applaus. Als Zugabe spielte das Bläserquartett Jean Françaix‘ „Petit quator“. Noch einmal erwiesen sich Jörg Schneider, Christof Reiff, Robinson Wappler und Manfred Baumgärtner als Meister auf ihren Instrumenten und bewiesen zugleich ihren Sinn für den feinen Humor des französischen Komponisten des 20. Jahrhunderts.
Von Es-Dur kippte die musikalische Stimmung nach es-Moll. In dieser Tonart steht Sergei Prokofjews 6. Sinfonie op. 111, die am 10. Oktober 1947 von Jewgeni Mrawinski in Leningrad aus der Taufe gehoben wurde. Prokofjews 6. Sinfonie trägt die gleiche Opuszahl wie Beethovens 32. Klaviersonate, die Prokofjew derart verehrte, dass er ihre Struktur seiner 2. Sinfonie zugrunde legte. Mit ihren drei Sätzen erinnert die 6. Sinfonie an die Sinfonik Arthur Honeggers, aber eben auch an Mozarts Sinfonia Concertante Es-Dur KV 297b.
Bei deren Dirigat musste Vladislav Lavrik nur hier und da einen Einsatz geben und hin und wieder ganz leicht zwischen Solisten und Orchester koordinieren. Um Prokofjews Sinfonie Nr. 6 zu dirigieren, waren seine ganze Konzentrationsfähigkeit und sein musikalisches Können gefragt. Vladislav Lavrik und dem Jenaer Philharmonischen Orchester gelang es vom ersten Takt an, das Düstere, Leidvolle und zugleich Absurde in Prokofjews 6. Sinfonie zum Klingen zu bringen. Lyrisches und Skurriles verflochten sich und standen gleich darauf im Gegensatz zueinander. Scheinbar erwünschte Gesten des sozialistischen Realismus erschienen verfremdet, kantig und wild. Wie es Vladislav Lavrik gelang, die ungewöhnlichen Klangfarbenkontraste und die krassen Themen und Rhythmen im Largo scharf musizieren zu lassen, war ebenso eindrucksvoll wie die Gestaltung des Finalsatzes, in dem alles grell-plakativ Positive von Schwermut, Skepsis und hintergründiger Skurrilität aufgesogen wurde. Das Publikum applaudierte lange dem Jenaer Philharmonischen Orchester und seinem Gastdirigenten Vladislav Lavrik, der nicht nur kurzfristig eingesprungen war und das Konzert gerettet hatte, sondern Sergei Prokofjews geradezu surreal anmutende Sinfonie mit dem Jenaer Orchester in einer künstlerischen Intensität zu Gehör brachte, die noch Tage später nachhallte und Assoziationen zur Gegenwart weckte. Bravo!
Dr. Dietmar Ebert