Genauigkeit, Leidenschaft und Transparenz
Sternstunde im Jenaer Musikleben
Der Tod gehört zu unserem Leben. Seit jeher spielt er in den Werken der Literatur, der Bildenden Kunst und der Musik eine bedeutende Rolle. Bilanzen am Lebensende, Trauer, Tod und Auferstehung standen im Zentrum des Konzertes der Jenaer Philharmonie am vergangenen Freitag.
Dem Konzert war eine aufwändige Probenarbeit, vor allem mit dem Philharmonischen Chor und dem Orchester vorausgegangen. Noch am Mittwoch gab es ein Probe-Hören. GMD Simon Gaudenz brachte den Zuhörern Sergej Rachmaninows „Sinfonische Tänze“ nahe und probte zugleich mit dem Orchester. Die Zuhörer durften sich überzeugen, wie die Interpretation der Musikerinnen und Musiker immer besser wurde.
Wolfgang Amadeus Mozart und Arthur Honegger
Als Auftakt des Konzerts spielte das Philharmonische Orchester unter Simon Gaudenz Mozarts „Maurerische Trauermusik“. Die „Maurerische Trauermusik“ in c-Moll, KV 477, nimmt mit ihrer choralartigen Hauptmelodie und dem Klang der tiefen Holzbläser bereits „Tonfälle“ der „Zauberflöte“ und des „Requiems“ vorweg. In der von großem, feierlichem Ernst getragenen Interpretation des Philharmonischen Orchesters unter Simon Gaudenz bildete sie den idealen Auftakt des Konzerts.
Ihr folgte das tief bewegende Oratorium „La danse des Morts“ für Sopran, Alt und Bariton, Sprecher, Chor und Orchester von Arthur Honegger. Angeregt durch den „Basler Totentanz“ und Hans Holbeins d. J. Holzschnitt-Zyklus verfasste Paul Claudel einen wundersam poetischen Text, den Arthur Honegger vertonte. Uraufgeführt wurde das siebensätzige Werk am 2. März 1940 in Basel. Es war sicher für Simon Gaudenz, der seine musikalische Ausbildung in Basel erhielt, eine Herzensangelegenheit, dieses Werk, in dem der Tod seinen Schrecken verliert, dem Jenaer Publikum nahe zu bringen. Die Aufführung von Claudel/Honeggers „Totentanz“ war eine Herausforderung für alle Beteiligten, vor allem aber für den Philharmonischen Chor. So differenziert, wandlungsfähig und stets präsent war der von Berit Walther einstudierte Chor selten zu hören. Schon allein den Chor-Part in französischer Sprache zu singen, war eine große Leistung. Zugleich meisterte der Chor alle musikalischen Schwierigkeiten. So hat man die vorwärtstreibenden Momente: Angst, Trauer, Hoffnung und Freude musikalisch noch nicht erlebt. Besonders im zweiten Teil „Danse des Mort“, doch darüber hinaus auch in allen weiteren Chorpartien, war die Konzentration und Freude der Choristinnen und Choristen zu spüren, selbst sprachlich und rhythmisch schwere Passagen, souverän zu bewältigen. Im Dialog mit dem Chor gestaltete der den Jenaer Theaterfreunden bestens bekannte Schauspieler Leander Gerdes die Partie des Sprechers klar und verständlich. Ihm gelang ein bewegendes halbszenisches Rollenporträt, das von seiner menschlichen und darstellerischen Reife in den letzten Jahren zeugt. Mit Wärme und lyrischer Kraft verlieh der Bariton Robert Koller im „Lamento“ (III. Teil) der „Menschen- Stimme“ starken Ausdruck. Es gehörte zu den Glanzpunkten der Aufführung, wie er sein großes Solo in den poetischen und musikalischen Fluss des Oratoriums einfügte. Die Sopranistin Jardena Flückiger und die Altistin Silke Gäng gestalteten mit ihren schönen, lyrischen Stimmen die Hoffnung im Zeichen des Kreuzes (VI. Teil), und natürlich ist das abschließende Solo (VII. Teil) mit Koloratur, Lamento und Lachen, wie es Jardena Flückiger meisterhaft gestaltete, besonders hervorzuheben. Wie Simon Gaudenz das Jenaer Philharmonische Orchester ausgewogen und differenziert führte, wie er die Streicher-Figuren im „Lamento“ aufblühen ließ, wie er „wie durch Zauberhand“ Solisten, Sprecher, Chor und Orchester ganz organisch gemeinsam gestalten ließ, das war außerordentlich beeindruckend. Mit allen Beteiligten gelang ihm ein sehr „lebendiger Totentanz“. Mehr noch: Er ließ die Brücke bauen zu Gustav Mahlers 2. Sinfonie, der „Auferstehungssinfonie“.
Lebensbilanz und musikalischer Abschied
Zum Abschluss des Konzertes spielte das Jenaer Philharmonische Orchester unter Simon Gaudenz‘ genauer und inspirierender Stabführung Sergej Rachmaninows „Sinfonische Tänze“ op. 45. Die Sinfonischen Tänze, vielleicht eher eine Art sinfonischer Dichtung, entstanden im Oktober 1940 und wurden am 3. Januar 1941 vom Philadelphia Orchestra unter Eugene Ormandy aus der Taufe gehoben.
In ihnen versichert sich Rachmaninow noch einmal seiner russischen Wurzeln, bezieht eigene Erfahrungen ein, wie das Zitat aus seiner ersten Sinfonie in der Coda des Kopfsatzes belegt, er komponiert einen „schrägen Walzer“ und bezieht sich auf die reiche Tradition der russisch-orthodoxen Kirchenmusik. In der Instrumentierung nimmt er Bezug auf Hector Berlioz und den „Hexensabbat“ in dessen „Symphonie phantastique.“ Es ist, als spiegele sich in Rachmaninows „Sinfonischen Tänzen“ sein ganzes Leben. Er verbindet die Musik seiner russischen Heimat in der Fremde mit der ganzen ihm verbliebenen Kraft der musikalischen Phantasie.
Es war eine große Freude zu hören, mit welcher Genauigkeit, Leidenschaft und Transparenz die Jenaer Musikerinnen und Musiker Rachmaninows Musik zum Leben erweckten. Die genaue, detailreiche Probenarbeit, an der Simon Gaudenz die Zuhörer teilnehmen ließ, sie hatte sich gelohnt: Die Streicher sorgten für einen nie nachlassenden, russisch getönten warmen Klang, die Holzbläser für feine, transparente Soli und die Blechbläser und Schlagwerker für festlichen Glanz.
Zugleich war in der Interpretation des Jenaer Philharmonischen Orchesters unter der temperamentvollen Stabführung von GMD Simon Gaudenz zu hören, dass Rachmaninow mit den „Sinfonischen Tänzen“ ein spätes Meisterwerk gelungen ist. Welche Rhythmik und Melodik war im Ersten Satz zu entdecken, welche Anklänge an die russische Ballettmusik finden sich im eigenartigen „Valse triste“ und wie großartig ist doch der letzte Satz mit seinem Schlagwerk und seinen Glocken komponiert. Die komplizierte Todesthematik erklang in drei ganz verschiedenen Klangsprachen.
Eine jede Klangsprache wurde in einer Qualität dargeboten, die man sich als Zuhörer nur wünschen kann. Simon Gaudenz hat Orchester und Chor der Jenaer Philharmonie auf der „Zielgeraden“ seiner ersten Spielzeit zu einer bewundernswert hohen Leistungsfähigkeit geführt, und das Konzert am vergangenen Freitag wird als Sternstunde in die Geschichte des Orchesters eingehen.
Dr. Dietmar Ebert