Alexej Gerassimez begeistert mit Klängen von magischer Intensität in Kalevi Ahos »Sieidi«

Foto: Christoph Staemmler

Atem­lose Stille herrschte am ver­gan­ge­nen Don­ners­tag im aus­ver­kauf­ten Volks­haus­saal, als Alexej Gerassimez mit den ers­ten auf der afri­ka­ni­schen Djembe gespiel­ten Tönen „Sieidi“, das Kon­zert für Schlag­werk und Orches­ter des fin­ni­schen Kom­po­nis­ten Kalevi Aho, begann. „Sieidi“ bezeich­net eine scha­ma­ni­sche Kult­stätte der Sámi, eines klei­nen Vol­kes im Nor­den Finn­lands. Bei ihnen wie bei vie­len klei­nen Völ­kern, deren Kul­tur bedroht ist, spielt das Schlag­zeug eine große Rolle. Alexej Gerassimez wech­selte von der Djembe zur arabi­schen Dar­burka, den Tom-Toms und bewegte sich spie­lend fort zu Marim­ba­phon, Wood­blocks, Vibra­phon bis hin zum orien­ta­li­schen Tam-Tam und zum Becken. Dieser musi­ka­li­sche Gang zum Ur­grund allen Seins erreichte mit einer wuch­ti­gen Kadenz am Tam-Tam seine Kli­max. Nun erfolgte der Weg zurück. Das Vibra­phon wurde jetzt mit zwei Bögen gestri­chen, und beim erneu­ten Spiel aller ver­wen­de­ten Instru­mente schien wie nach einer „großen Reini­gung“ ihr Klang rei­ner, kla­rer und ein biss­chen sanf­ter. Alexej Gerassimez ent­lockte den Schlag­ins­tru­men­ten hoch­kon­zen­triert und spie­le­risch Klänge von magi­scher Inten­si­tät, und die Jenaer Phil­har­mo­nie unter Simon Gaudenz sorgte für einen sehr diffe­ren­zier­ten Orches­ter­klang, der den vir­tu­osen Schlag­zeug­soli orches­tra­les Gewicht ver­lieh. Alexej Gerassimez stellte sich ganz in den Dienst des Wer­kes und begeis­terte das Pub­li­kum durch ein vir­tu­oses Spiel auf allen Schlag­ins­tru­men­ten, die der Kom­po­nist vor­ge­se­hen hatte. Jung und Alt fühl­ten sich glei­cher­ma­ßen ange­spro­chen, denn die Kunst des ARTIST IN RESIDENCE rich­tete sich nicht an eine bestimmte Alters­gruppe, sie ver­langte nur Eins: Offen­heit für die Diffe­ren­ziert­heit und Magie des Schlagzeug­klangs.

Die Jenaer Philharmonie unter Simon Gaudenz wird für die Aufführung von Peter Tschaikowskis 5. Sinfonie stürmisch gefeiert

Im zwei­ten Teil des Kon­zerts spielte das Jenaer Phil­har­mo­ni­sche Orches­ter unter der exak­ten und dyna­mi­schen Stab­füh­rung von Simon Gaudenz Peter Tschai­kowskis Sin­fo­nie Nr. 5 e-Moll op. 64 aus dem Jahr 1888. Von Beginn an, als zwei Kla­ri­net­ten die Ein­gangs­me­lo­die spiel­ten, wurde das Pub­li­kum ganz in den Bann der Musik gezo­gen. Das betrifft sowohl den Kopf­satz, der immer wie­der von dro­hen­den Schick­sals­rufen durch­zo­gen wurde, als auch den lyrisch getön­ten zwei­ten Satz mit sei­nem berühm­ten kan­ta­blen Horn-Solo (Robinson Wappler) und dem Ringen zwi­schen Schick­sals­mo­tiv und „Hoff­nungs­thema“, den beschwing­ten, nobel-ele­gan­ten Wal­zer und erst recht den Final­satz, in dem die Düster­nis der Moll-Ton­art immer mehr dem strah­len­den Or­ches­ter­glanz weichen muss. Es war be­ein­dru­ckend, mit welcher Wärme, Ele­ganz und Klar­heit die Strei­cher spiel­ten, wie kant­abel und diffe­ren­ziert die Holz­bläser klan­gen, welche Dra­ma­tik und wel­chen Glanz die Blech­blä­ser ent­fal­te­ten und wie die Pau­ken-Soli den stren­gen Rhyth­mus voran­trie­ben (Alexander Schuchert). Simon Gaudenz setzte auf zügige Tempi und fand mit dem Phil­har­mo­ni­schen Orches­ter Jena zu einem schlanken, trans­pa­ren­ten Orches­ter­klang, der trotz­dem kom­pakt war und alle Details der Partitur auf­leuch­ten ließ. Das Pub­li­kum feierte Orches­ter und Diri­gent mit Bei­fall­stür­men, Bravos und Stan­ding Ova­tions.

Filigrane Marimba-Klänge über bezau­bernd schönem Streicher­klang – Triumph des Rhythmus und eine »Klang­per­for­mance für Nix als den eige­nen Körper!«

Foto: Christoph Staemmler

Das Kammer­konzert am Sonntag­vor­mit­tag wurde wiede­rum vom ARTIST IN RESI­DENCE, Alexej Gerassimez, bestrit­ten. Diesmal musi­zierte er mit einem Streich­quar­tett, mit größer besetz­tem Streich­en­sem­ble und mit den Schlag­zeu­gern der Jenaer Phil­har­mo­nie ganz unmit­tel­bar zusammen. In Claude Debussys berühm­tem „Claire de lune“ ent­lockte Gerassimez dem Marim­ba­phon fili­grane Töne, die sich über bezau­bernd schö­nem Strei­cher­klang ent­fal­te­ten. Leicht und natür­lich ver­ban­den sich Marimba-Klänge und warmer Strei­cher­klang im Konzert Nr. 1 für Marim­ba­phon und Strei­ch­or­ches­ter op. 12 des bra­si­lia­ni­schen Kom­po­nis­ten Ney Rosauro. Die Sätze des 1986 urauf­ge­führ­ten Kon­zerts sind mit „Sauda­ção“ (Gruß), „Lamen­to“ (Klage), „Dança“ (Tanz) und „Despe­dida“ (Abschied) über­schrie­ben. Zuvor spielte Alexej Gerassimez mit einem Streich­quar­tett den 2. Satz „Farewell to Flesh“ aus John Psathas „Con­nec­tome“ aus dem Jahr 2019. John Psathas ist ein neu­see­län­di­scher Kom­po­nist. Die Musik, die Alexej Gerassimez für sein Kam­mer­kon­zert aus­ge­wählt hatte, stammt von ver­schie­de­nen Kon­ti­nen­ten und zeigt, wie uni­ver­sell die Sprache des Schlag­zeugs ist.

Der zweite Teil war dann gänz­lich der breiten Aus­drucks­skala des Schlag­zeugs gewid­met. Wie viel mit wenig Mitteln zu erreichen ist, zeigte Gerassimez mit „Temaz­cal für Mara­cas und Ton­auf­zeich­nung“ des Vene­zue­la­ners Javier Álvarez. Gemein­sam mit drei Schlag­zeu­gern der Jenaer Phil­har­mo­nie feierte er so­dann den Triumph des Rhyth­mus in Steve Reichs „Drum­ming Part One“ für 4 Paare gestimm­ter Bon­gos. Wie durch eine leichte Tem­po­ver­zö­ge­rung ein Zu­sammen­spiel entsteht, das gleich­zei­tig ein span­nungs­rei­ches „Gegen­ein­an­der­den­ken“ erfor­dert, war für das Pub­li­kum fas­zi­nie­rend. Im „Marimba Spiri­tual II“ des japa­ni­schen Kom­po­nis­ten Miki Minoru stell­ten Alexej Gerassimez am Solo-Ins­tru­ment und René Münch, Barnabás Fekete und Alexander Schuchert am übri­gen Schlag­zeug noch ein­mal ihr ganzes Können unter Beweis. Für App­laus, Bra­vos und ste­hende Ova­tio­nen bedank­ten sich Alexej Gerassimez und seine Schlag­zeug-Kolle­gen mit einer humor­vol­len „Klang­per­fo­rmance für Nix, als den eige­nen Kör­per!“ Danach herrschte gelöste Heiter­keit im Pub­lik­um, das sich erneut mit ste­hen­den Ova­tio­nen für einen unter­halt­sa­men Sonntag­vor­mit­tag bedankte.

Alexej Gerassimez hat in seiner Zeit als ARTIST IN RESI­DENCE sowohl mit den Schlag­zeug­kon­zer­ten von Tan Dun und Kalevi Aho als auch in seinem Kam­mer­kon­zert bewie­sen, was für ein exzel­len­ter Solist auf allen ihm zur Ver­fü­gung ste­hen­den Schlag­zeug­ins­tru­men­ten er ist und welchen großen Spaß es ihm macht, ge­mein­sam mit ande­ren zu musi­zie­ren. Nicht die One-Man-Show ist sein Mar­ken­zei­chen, son­dern gemein­sa­mes Musi­zie­ren auf sehr hohem Niveau. Mit diesen beiden ful­mi­nan­ten Kon­zerten verab­schie­dete er sich als ARTIST IN RESIDENCE. Das Jenaer Pub­li­kum war enthu­si­as­miert und hofft, ihn bald wie­der als Gast begrü­ßen zu können.

Dr. Dietmar Ebert


 
Erzählen mit dem ganzen Körper – Eindrücke von Luis Wohlfeld, der ein Freiwilliges Soziales Jahr bei der Jenaer Philharmonie absolviert

Foto: Christoph Staemmler

Wie Alexej seine Schle­gel bewegt, ist äußerst ein­drucks­voll, wie er sie wäh­rend kurzer Pausen lange nach dem bereits gespiel­ten Ton weit über das Instru­ment in die Luft zieht, so als würde dieser noch nicht zu Ende gespielt sein. Oft nutzt er die mini­male Pause nach einem Ton, um diesem „nach­zu­spüren“, bevor er sich ener­gisch und mit aller Präzi­sion den nächs­ten Ton­fol­gen widmet.

Für die beein­dru­ckend­ste Stelle in Kalevi Ahos „Sieidi“ sorgte Alexej mit dem Strei­chen zweier Bögen über das Vibra­phon. Dabei ent­lockte er dem Instru­ment düster-schöne und mys­te­riöse Klänge, die sich wellen­ar­tig im Saal aus­brei­te­ten. Dies führte zu einem schauer­li­chen, unbe­hag­li­chen Gefühl, das dennoch von großer Faszi­na­tion beglei­tet wurde.

Die Aus­drucks­stärke in Alexejs Mimik im Zusam­men­spiel mit scha­ma­nisch anmu­tend­en Bewe­gun­gen seiner Arme ließ es fast so aus­se­hen, als spräche der Solo­küns­tler mit dem Ins­tru­ment und den lang­sam davon­schwe­ben­den Tönen.

Alexej Gerassimez demons­triert deut­lich, dass es beim Schlag­zeug­spiel, wie er selbst im Inter­view erläu­terte, vor allem auf das „Wie“ ankommt: Der Schlag­zeug­küns­tler erzählt dem Pub­li­kum eine Geschichte, nicht nur durch die erklin­gende Musik, son­dern mit dem ganzen Körper.

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