Donnerstagskonzert № 8 am 27.04.2023 und Kammerkonzert № 7 am 30.04.2023
Standing Ovations für Alexej Gerassimez und die Jenaer Philharmonie
Alexej Gerassimez begeistert mit Klängen von magischer Intensität in Kalevi Ahos »Sieidi«
Atemlose Stille herrschte am vergangenen Donnerstag im ausverkauften Volkshaussaal, als Alexej Gerassimez mit den ersten auf der afrikanischen Djembe gespielten Tönen „Sieidi“, das Konzert für Schlagwerk und Orchester des finnischen Komponisten Kalevi Aho, begann. „Sieidi“ bezeichnet eine schamanische Kultstätte der Sámi, eines kleinen Volkes im Norden Finnlands. Bei ihnen wie bei vielen kleinen Völkern, deren Kultur bedroht ist, spielt das Schlagzeug eine große Rolle. Alexej Gerassimez wechselte von der Djembe zur arabischen Darburka, den Tom-Toms und bewegte sich spielend fort zu Marimbaphon, Woodblocks, Vibraphon bis hin zum orientalischen Tam-Tam und zum Becken. Dieser musikalische Gang zum Urgrund allen Seins erreichte mit einer wuchtigen Kadenz am Tam-Tam seine Klimax. Nun erfolgte der Weg zurück. Das Vibraphon wurde jetzt mit zwei Bögen gestrichen, und beim erneuten Spiel aller verwendeten Instrumente schien wie nach einer „großen Reinigung“ ihr Klang reiner, klarer und ein bisschen sanfter. Alexej Gerassimez entlockte den Schlaginstrumenten hochkonzentriert und spielerisch Klänge von magischer Intensität, und die Jenaer Philharmonie unter Simon Gaudenz sorgte für einen sehr differenzierten Orchesterklang, der den virtuosen Schlagzeugsoli orchestrales Gewicht verlieh. Alexej Gerassimez stellte sich ganz in den Dienst des Werkes und begeisterte das Publikum durch ein virtuoses Spiel auf allen Schlaginstrumenten, die der Komponist vorgesehen hatte. Jung und Alt fühlten sich gleichermaßen angesprochen, denn die Kunst des ARTIST IN RESIDENCE richtete sich nicht an eine bestimmte Altersgruppe, sie verlangte nur Eins: Offenheit für die Differenziertheit und Magie des Schlagzeugklangs.
Die Jenaer Philharmonie unter Simon Gaudenz wird für die Aufführung von Peter Tschaikowskis 5. Sinfonie stürmisch gefeiert
Im zweiten Teil des Konzerts spielte das Jenaer Philharmonische Orchester unter der exakten und dynamischen Stabführung von Simon Gaudenz Peter Tschaikowskis Sinfonie Nr. 5 e-Moll op. 64 aus dem Jahr 1888. Von Beginn an, als zwei Klarinetten die Eingangsmelodie spielten, wurde das Publikum ganz in den Bann der Musik gezogen. Das betrifft sowohl den Kopfsatz, der immer wieder von drohenden Schicksalsrufen durchzogen wurde, als auch den lyrisch getönten zweiten Satz mit seinem berühmten kantablen Horn-Solo (Robinson Wappler) und dem Ringen zwischen Schicksalsmotiv und „Hoffnungsthema“, den beschwingten, nobel-eleganten Walzer und erst recht den Finalsatz, in dem die Düsternis der Moll-Tonart immer mehr dem strahlenden Orchesterglanz weichen muss. Es war beeindruckend, mit welcher Wärme, Eleganz und Klarheit die Streicher spielten, wie kantabel und differenziert die Holzbläser klangen, welche Dramatik und welchen Glanz die Blechbläser entfalteten und wie die Pauken-Soli den strengen Rhythmus vorantrieben (Alexander Schuchert). Simon Gaudenz setzte auf zügige Tempi und fand mit dem Philharmonischen Orchester Jena zu einem schlanken, transparenten Orchesterklang, der trotzdem kompakt war und alle Details der Partitur aufleuchten ließ. Das Publikum feierte Orchester und Dirigent mit Beifallstürmen, Bravos und Standing Ovations.
Filigrane Marimba-Klänge über bezaubernd schönem Streicherklang – Triumph des Rhythmus und eine »Klangperformance für Nix als den eigenen Körper!«
Das Kammerkonzert am Sonntagvormittag wurde wiederum vom ARTIST IN RESIDENCE, Alexej Gerassimez, bestritten. Diesmal musizierte er mit einem Streichquartett, mit größer besetztem Streichensemble und mit den Schlagzeugern der Jenaer Philharmonie ganz unmittelbar zusammen. In Claude Debussys berühmtem „Claire de lune“ entlockte Gerassimez dem Marimbaphon filigrane Töne, die sich über bezaubernd schönem Streicherklang entfalteten. Leicht und natürlich verbanden sich Marimba-Klänge und warmer Streicherklang im Konzert Nr. 1 für Marimbaphon und Streichorchester op. 12 des brasilianischen Komponisten Ney Rosauro. Die Sätze des 1986 uraufgeführten Konzerts sind mit „Saudação“ (Gruß), „Lamento“ (Klage), „Dança“ (Tanz) und „Despedida“ (Abschied) überschrieben. Zuvor spielte Alexej Gerassimez mit einem Streichquartett den 2. Satz „Farewell to Flesh“ aus John Psathas „Connectome“ aus dem Jahr 2019. John Psathas ist ein neuseeländischer Komponist. Die Musik, die Alexej Gerassimez für sein Kammerkonzert ausgewählt hatte, stammt von verschiedenen Kontinenten und zeigt, wie universell die Sprache des Schlagzeugs ist.
Der zweite Teil war dann gänzlich der breiten Ausdrucksskala des Schlagzeugs gewidmet. Wie viel mit wenig Mitteln zu erreichen ist, zeigte Gerassimez mit „Temazcal für Maracas und Tonaufzeichnung“ des Venezuelaners Javier Álvarez. Gemeinsam mit drei Schlagzeugern der Jenaer Philharmonie feierte er sodann den Triumph des Rhythmus in Steve Reichs „Drumming Part One“ für 4 Paare gestimmter Bongos. Wie durch eine leichte Tempoverzögerung ein Zusammenspiel entsteht, das gleichzeitig ein spannungsreiches „Gegeneinanderdenken“ erfordert, war für das Publikum faszinierend. Im „Marimba Spiritual II“ des japanischen Komponisten Miki Minoru stellten Alexej Gerassimez am Solo-Instrument und René Münch, Barnabás Fekete und Alexander Schuchert am übrigen Schlagzeug noch einmal ihr ganzes Können unter Beweis. Für Applaus, Bravos und stehende Ovationen bedankten sich Alexej Gerassimez und seine Schlagzeug-Kollegen mit einer humorvollen „Klangperformance für Nix, als den eigenen Körper!“ Danach herrschte gelöste Heiterkeit im Publikum, das sich erneut mit stehenden Ovationen für einen unterhaltsamen Sonntagvormittag bedankte.
Alexej Gerassimez hat in seiner Zeit als ARTIST IN RESIDENCE sowohl mit den Schlagzeugkonzerten von Tan Dun und Kalevi Aho als auch in seinem Kammerkonzert bewiesen, was für ein exzellenter Solist auf allen ihm zur Verfügung stehenden Schlagzeuginstrumenten er ist und welchen großen Spaß es ihm macht, gemeinsam mit anderen zu musizieren. Nicht die One-Man-Show ist sein Markenzeichen, sondern gemeinsames Musizieren auf sehr hohem Niveau. Mit diesen beiden fulminanten Konzerten verabschiedete er sich als ARTIST IN RESIDENCE. Das Jenaer Publikum war enthusiasmiert und hofft, ihn bald wieder als Gast begrüßen zu können.
Dr. Dietmar Ebert
Erzählen mit dem ganzen Körper – Eindrücke von Luis Wohlfeld, der ein Freiwilliges Soziales Jahr bei der Jenaer Philharmonie absolviert
Wie Alexej seine Schlegel bewegt, ist äußerst eindrucksvoll, wie er sie während kurzer Pausen lange nach dem bereits gespielten Ton weit über das Instrument in die Luft zieht, so als würde dieser noch nicht zu Ende gespielt sein. Oft nutzt er die minimale Pause nach einem Ton, um diesem „nachzuspüren“, bevor er sich energisch und mit aller Präzision den nächsten Tonfolgen widmet.
Für die beeindruckendste Stelle in Kalevi Ahos „Sieidi“ sorgte Alexej mit dem Streichen zweier Bögen über das Vibraphon. Dabei entlockte er dem Instrument düster-schöne und mysteriöse Klänge, die sich wellenartig im Saal ausbreiteten. Dies führte zu einem schauerlichen, unbehaglichen Gefühl, das dennoch von großer Faszination begleitet wurde.
Die Ausdrucksstärke in Alexejs Mimik im Zusammenspiel mit schamanisch anmutenden Bewegungen seiner Arme ließ es fast so aussehen, als spräche der Solokünstler mit dem Instrument und den langsam davonschwebenden Tönen.
Alexej Gerassimez demonstriert deutlich, dass es beim Schlagzeugspiel, wie er selbst im Interview erläuterte, vor allem auf das „Wie“ ankommt: Der Schlagzeugkünstler erzählt dem Publikum eine Geschichte, nicht nur durch die erklingende Musik, sondern mit dem ganzen Körper.